„Sei nie mit dir zufrieden!“

P.W. Keller-Reutlingen

Biographische Daten zu Paul Wilhelm Keller-Reutlingen (PWKR)

Geboren wurde der Maler am 4. Februar 1854, einem Samstag, in Reutlingen als sechstes von acht Kindern des Ehepaares Heinrich Adolf Keller, Privatier (1815-1890), und dessen Frau Caroline, geb. Finckh (1819-1871).

Die Geburtsstunde war die vor Mitternacht. Nach Franz Keller und Georg Keller sowie allen übrigen bisher gedruckten Quellen ist das Geburtsdatum der 2. Februar. Nach dem „“Verzeichniß der außerhalb des Gemeindebezirks wohnenden Gemeindebürger“ des Oberamts Reutlingen von 1885/86, das im Stadtarchiv liegt, ist das Geburtsdatum jedoch der 4. 2., ein Mittwoch (?).

Dieses Datum steht auch im Familienregister des Standesamts Reutlingen, Bd. 11, S. 122, sowie im Taufverzeichnis und Familienregister des Kirchenregisters. Möglicherweise entstand durch Dittographie, d.h. die versehentliche Doppeltschreibung “2.2.“. Der Geburtstag war nun im 19. Jahrhundert nicht so wichtig wie der Namenstag, so daß der Bruder Franz an diesem Tag nicht jedesmal gratuliert haben dürfte, wie dies heute üblich ist. Daher fiel es ihm nicht auf, daß in beiden Quellen zur Familiengeschichte das falsche Datum stehen geblieben ist.

Die vom Künstler selbst gemachten Angaben im kirchlichen Trauungsregister der evangelischen Gemeinde auf Helgoland, wo Keller 1898 heiratete, lauten:

4. Febr. 1854.

Dem widersprechen jedoch seine eigenhändigen Angaben auf einem polizeilichen Meldebogen vom 21.5.1919, wo er selbst eintrug: “geb. 2. Feb. 1854“ und „“Für die Richtigkeit der Angaben“ unterschrieb!

Vielleicht tat er dies nur, um zu verhindern, daß den Behörden Widersprüche auffielen zwischen den Büchern, in denen Keller 1919 schon stand und eigenen Angaben. Er war wohl recht großzügig im Formalen, denn einmal signierte er sogar eine spiegelverkehrt wiedergegebene Reproduktion.

Im Vorwort des Künstlerlexikons von Müller-Singer findet man gar eine Beschwerde über mehrere Künstler, die selbst in eigenhändigen Angaben ihr eigenes Geburtsjahr unterschiedlich, in bis zu drei verschiedenen Varianten angeben.

Evangelisch getauft wurde das Kind am 18. Februar von Stadtpfarrer Fischer, seine Taufzeugen waren Wilhelm Finckh und die Witwe Elisabeth Finckh.

In der Gartenstraße 10 in Reutlingen wuchs Wilhelm (so sein Rufname) auf. “Dort siedelte sich die damalige Hautevolée an, die Bantlin, Knapp, Lang, Keller“ (Karl Keim). Zur Geschichte dieser Straße s. ferner Heidi Stelzer. Den Kellers gehörte das 1833-34 erbaute Haus Nr. 10, früher im V. Bezirk gelegen.

Die Großmutter des Malers, Elisabeth Keller, geb. Finckh (1786-1851) hatte es 1850 erworben und 1851 ihrem Sohn Adolf vermacht. Es besaß bis zu seinem Abriss 1988 einen großen baumreichen Garten, der sicher 120 Jahre zuvor auf den kindlichen Wilhelm gewirkt hatte. Im Nebenhaus Nr. 8 wohnte u.a. der Onkel des Malers, Karl Keller.

Von 1862-1868 besuchte er die Reutlinger Realschule, so daß er gut 14 Jahre in Reutlingen verbracht hat, also mehr als ein ein Fünftel seines Lebens. Im Herbst 1868 wurde er hier noch konfirmiert. Sein erster (Zeichen-?)Lehrer war der Reutlinger von Schütz. Die ältesten bekannten Werke Kellers sind Bleistiftzeichnungen, die er in der ersten Oktoberwoche des Jahres 1870, 16-Jährig also, auf einer Reise zusammen mit seinem Bruder Franz  ins Allgäu und nach Tirol in die Region um Reutte angefertigt hat. Auch in der Zeichnung “Kirchweg“ des sechszehnjährigen vom 25.10.1870 (Stadtarchiv Reutlingen, Signatur S90 Nr. 338) zeigt sich bereits Kellers Neigung zu seinem späteren Lieblingsmotiv, dem Spiel von Licht und Schatten auf dunklen Tannen. Die Eltern waren über die Neigungen Willis, so sein Kosename, zur Kunst nicht erfreut. Finckh schreibt über die acht Kinder der Kellers: “aber einer von ihnen war vergraten, nach München gegangen und Maler geworden. Ein Nixnutz also“.

Auf Wunsch der Eltern wurde der Junge daher zunächst in einem Handwerk ausgebildet: Er lernte von 1868-1872 bei Adolf Cloß in Stuttgart, einem der besten deutschen Holzschneider, den Beruf des Xylographen, da er den Erwerb einer “xylographischen Anstalt“ schon plante. Tod der Mutter am 1.4.1871. Aufgrund einer Empfehlung des Meisters schickte man den jungen Mann 1872-73 auf die Kunstschule Stuttgart, die später Kunstakademie hieß. Dort lernte er bei Bernhard von Neher (s. August Wintterlin, Württembergische Künstler in Lebensbildern, Suttgart/Leipzig/Berlin/Wie 1895, S. 345-381).

1873-1874 war er bei Otto Seitz an der Münchener Akademie, die seit etwa 1866 neben Paris als die bedeutendste Kunstakademie der Welt galt. 1874-1875 war Keller in der Malklasse von Professor Carl von Haeberlin in Stuttgart (z. Haeberlin s. die Dissertation von Pecht). Haeberlin war Schüler Schadows und Carl von Pilotys, dessen Ideen von Historienmalerei er streng vertrat. Als Lehrer an der Kunstakademie in Stuttgart von 1867-1883 war er von Anfang an umstritten. Ein Werk von ihm hängt auf Schloß Lichtenstein. Er war ein guter Zeichner, weshalb Keller vielleicht seine Ausbildung bei ihm abschloss. Auch einige Motive könnte Keller bei ihm entdeckt haben, wie “Steinbruch“ (Pecht Nr. 52), “Durchsonnte Allee“ (Pecht 45). 1875 entstehen“Trödler vor Scheune“,“Junge Frau im Halbprofil“.

Von 1875-1876 leistete Keller den Militärdienst als “gelber Dragoner“ im 26. Dragonerregiment von König Wilhelm I. in Ulm, wo er es bis zum Leutnant brachte. 1876 entsteht“Bäuerliche Ofenecke“.

Anschließend reiste Keller drei Jahre lang, von 1876-1879, nach Italien und besuchte Venedig, Florenz, Rom, Neapel und Capri. Er malte dabei effektvolle Landschaften und Städtebilder, u.a. den Canal in Chioggia, den “Mercato Vecchio in Florenz“, Szenen aus Pozzuoli und Rivieralandschaften,“Der abgefangene Liebesbrief“(zwei Frauen am Spinnrad),“Rom, Porta Nerva“. Noch bis ca. 1890 malte er italienische Motive.

Ab 1879 lebte er in München. Bei der Internationalen Kunst-Ausstellung in München wird zum ersten Mal ein Bild von ihm gezeigt:“Mercato Vecchio in Florenz“. Seitdem stellte er regelmäßig in Wien, Stuttgart und Düsseldorf aus.

Von 1880-1890  ließ er sich in Dachau nieder und wurde dort Mitglied in der Dachauer Maler-Colonie. “Drei Mädchen in Betzinger Tracht“,“Kegelbahn auf Capri“,“Dachauer Maler-Colonie“,“Neapolitanischer Fischer“. 1882 entstand“Auf der Schwäbischen Alb“,“Galoppierende Pferde am Strand von Santa Lucia“.1883 malte er sechs Ansichten von Reutlingen,“Weiße Häuser am Meer“,“Italienische Landschaft am Meer“,“Südländische Landschaft“,“Kinder im Bauerngarten“,“Der Maler und sein Modell“. 1884 wird Keller zusammen mit dem Maler Georg Wolters von Henry Albrecht gezeichnet.“Fünf Personen am Strand von Santa Lucia“,“Dachauer Haus“,“Dachauer Moor“,“AlteBäume in Dachau“.1885 entsteht“Das Gartentürl“, 1886 werden in der Zeitschrift“Über Land und Meer – Allgemeine illustrierte Zeitung“ die sechs Reutlingen-Ansichten von 1883 abgedruckt. Am 24.3.1887 verzichtete Keller auf sein durch Geburt erworbenes Reutlinger Bürgerrecht, blieb aber lebenslang württembergischer Staatsangehöriger. Er war daher über 33 Jahre lang, fast genau die Hälfte seines Lebens, Bürger Reutlingens. 1887 folgen“Galoppierendes Pferd am Strand von Santa Lucia“,“Gänseliesl vor Dachau“,“Schweine vor Dießen“, 1888 “Gänseliesl vor Dachau“.

Ab 1890 zog er wieder nach München, in die Schwanthalerstraße 33. Ungefähr ab diesem Zeitpunkt hielt er in seinen Landschaftsbildern fast nur noch süddeutsche Ansichten fest, z. von München, Reutlingen, der Schwäbischen Alb, dem Bodensee, aus Franken und der Oberpfalz (Marktbreit, Kallmünz). Kallmünz dürfte so etwas wie ein Modeziel für Künstler gewesen sein; so war auch Kandinsky mit Gabriele Münter öfter dort. Diese Landschaftsbilder begründeten seinen Ruhm. Am 23.9.1890 stirbt sein Vater Heinrich Adolf in Reutlingen. Er hinterläßt seinem Sohn ein erhebliches Vermögen.“Pompei“ (20.4.1890).

1891 entstehen “Flößer“,“Alter Markt ‚Dachau“. 1892 erhielt er auf der Münchener Glaspalastausstellung eine “.Zweite (Gold-)Medaille. An diesen Ausstellungen beteiligte er sich von 1881 bis 1901.“Früher Abend im spätherbstlichen Dachauer Moos“,“Hirtin mit Kühen“.

Am 3.5.1892 wurde die Münchener Secession gegründet, derer er seit Beginn bis 1898 als Schriftführer und Vorstandsmitglied angehörte. Ab ihrer ersten Ausstellung 1895 war er mit 3 Bildern vertreten, bis 1914 stellte er auf ihren Ausstellungen häufig aus. 1893 malt er die Gemälde “AmDorfteich“,“Schwanthalerstraße“,“Feierabend“.Schon von 1893 bis 1901 waren Bilder von ihm auf der Großen Internationalen Kunstausstellung in Berlin zu sehen. 1895 wird hier “Abendläuten“ ausgetellt.Seit 1895 war er Mitarbeiter der Zeitschrift “Jugend“.

1895-1910 lebte Keller in (Fürstenfeld-)Bruck, zunächst in der Dachauer Straße Nr. 317 1/2, möglicherweise auch danach in den Häusern Nr.35 und Nr.59 derselben Straße, später in der Ludwigstraße 24. In Bruck hatte er neben seinem Münchener Atelier noch ein weiteres, in der Nähe der alten Lohmühle beim städtischen Schwimmbad. Die letzte Meldung im Einwohneramt in Bruck datiert auf das Jahr 1912. Er war Mitglied der Brucker Künstlervereinigung. Berühmt geworden sind Kellers Motive von der dort vorbeifließenden Amper. “Großes Kornfeld“,“Abenddämmerung“,“Portrait einer Dame in einem Kostüm“,“Bayerische Hochebene“. 1896 erwirbt der württembergische Staat das„Abendläuten mit heimkehrenden Mädchen“ auf der Internationalen Kunstausstellung in Stuttgart. 1897 erwirbt die Staatliche Gemäldegalerie zu Dresden auf einer Internationalen Kunstausstellung Kellers“Abenddämmerung“ von 1895. 1898 entstehen “Abendlandschaft“,“Mühle in Bruck“,“Alter Markt Dachau“,“Marktbreit“.

Am 15.11.1898 (und nicht am 20.10.1899, wie es z.T. falsch datiert wird), heiratete der die Schauspielerin Albertine Wetzel (1867-1926). Die Hochzeit fand auf Helgoland statt, Trauzeugen waren J. Berndt und Fr. Holst, die wohl Inselbewohner waren, denn sie tauchten dort öfter als Trauzeugen auf und gehörten daher ziemlich sicher nicht zum Freundeskreis des Ehepaares. Bis zum Jahr 1900 gab es die sog. Helgoländer Ehe, bei der kein öffentliches Aufgebot stattfinden musste: Eventuelle Ehehindernisse (z. B. heimliche Schwangerschaft der Braut), zu deren Aufdeckung auf dem Festland eine sechswöchige Aufgebotsfrist einzuhalten war, waren in Helgoland durch die eidesstattliche mündliche Beantwortung von 23 Fragen aus dem Weg zu räumen Die Hochzeit Kellers hat also “in aller Stille“ stattgefunden, evtl. aus folgendem Grund: Albertine wurde am 11.9.1867 in Rastatt unehelich geboren. Ihre Mutter war die ledige Henriette Schreiber, die ebenfalls eine uneheliche Tochter der Konstanzerin Euphemia Schreiber war und wohl früh starb. Denn Albertines Vater, der ledige Abraham Wetzel aus Wiesloch, Soldat im 3. Infanterieregiment in Rastatt, taucht in späteren Akten zusammen mit Louise, geb. Hammer, als Fabrikantenehepaar in Pforzheim auf. Diese Louise wird in einem Münchner Dokument die Mutter der Albertine genannt, gemeint ist wohl Stiefmutter.

Albertine wurde am 22.9.1867 getauft und trug seit dem 31.10.1867 den Nachnamen des die Vaterschaft anerkennenden Wetzel. (S. hierzu das Taufbuch 1861-1868 der Katholischen Stadtpfarrei St. Alexander in Rastatt, BD. XI, S. 568 u. 580). Der Name Albertine war in diesen Zeiten durchaus Mode: So heißt auch die Mutter des Malers Reinhold Nägele. Sie lebte von 1862-1924.

Eine erstaunliche Verbindung also: Keller 44 Jahre alt, seine Braut 31 , er evangelisch, sie katholisch, er aus großbürgerlichem Hause, sie unehelich geborene Schauspielerin einer unehelichen Mutter. Dies war kein unerheblicher gesellschaftlicher Makel, wenn man bedenkt, daß uneheliche Geburten selbst in evangelischen Gemeinden bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts von den Kanzeln herab angeprangert wurden. Nicht auszuschließen ist, daß Kellers Frau in der gutbürgerlichen Sippe totgeschwiegen wurde, da ihr Name selbst Verwandten Kellers nur aus dem Familienbuch bekannt war. Zogen sich in dieser Eheverbindung die Gegensätze an: Sie heiter und leichtlebig, er schwermütig? Oder verband sie gemeinsamer Ästhetizismus, Narzissmus und die Liebe zur Kunst? Gegen die Annahme einer Scheinehe jedenfalls spricht ein sehr liebevolles Aktbild, das er von ihr gemalt hat. Und in ihrem letzten Brief vor ihrem Selbstmord spricht Albertine zärtlich von ihrem „Willi“. Die Ehe blieb jedenfalls kinderlos. Keller malte mindestens ein Aquarell in Hamburg: “An der Bille“, ein Aufenthalt in Hamburg 1912 wurde von Rump bezeugt.

1899 gelangt in das Städelsche Institut in Frankfurt/M. als Geschenk von Leopold Sonnemann, dem Gründer der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das Gemälde “Mühle in Bruck“ von 1898.

Am 5.12.1899 hat der bayerische Prinzregent Luitpold “mit Allerhöchstem Handschreiben“ “allergnädigst zu befehlen geruht, daß wegen Allerhöchster Verleihung von Auszeichnungen an hervorragend verdiente Persönlichkeiten aus Anlaß des bevorstehenden Jahreswechsels allerunterthänigster Antrag erstattet werde, verdienstvolle Persönlichkeiten für diese Ehre vorzuschlagen (Akten des Bayerischen Hauptstaatsarchivs MK 19151). Der Königliche Staatsminister des Innern für Kirchen-und Schulangelegenheiten erachtete über 50 Personen für würdig: Zunächst schlug er einige für die Verdienstorden des heiligen Michael sowie der bayerischen Krone vor, weitere für Titel wie den eines Königlichen Rates oder Oberinspektors und sechs Personen für den Titel eines Königlichen Professors, darunter waren zwei Musiker, ein Priester, ein Bildhauer sowie zwei Landschaftsmaler, Toni Stadtler und Paul Wilhelm Keller-Reutlingen. Aus den Akten geht hervor, daß der damals 45 jährige Keller in Fürstenfeldbruck lebte. Er sei “aus der Münchener Akademie hervorgegangen; er ist ein tüchtiger und namhafter Künstler, welcher in seinen Bildern namentlich den Reiz der Flachlandschaft mit ihren farbigen Abstufungen und mit ihrer Lichtfülle meisterhaft wiedergibt. Hauptsächlich ist es die Dachauer Ebene, aus welcher er die Motive für seine Bilder schöpft“.(s. Muther).

Der besondere Wert der Auszeichnung dürfte darin liegen, daß Keller württembergischer Staatsangehöriger und damit aus bayerischer Sicht Ausländer war. Lokalpatriotische Erwägungen traten also hinter qualitativen Gesichtpunkten zurück. Vielleicht wollte die bayerische Regierung bewusst kosmopolitisch wirken und durch einen solchen Akt weitere Künstler nach München locken Tatsache ist jedenfalls, daß Keller zahlreichen guten Münchener Malern dieser Zeit vorgezogen wurde und das in der Kunsthauptstadt Deutschlands! Am 15.12.1899 musste der Innenmimister Dr. von Landmann das Außenministerium bitten, in Stuttgart bei der württembergischen Regierung anzufragen, ob dort eine derartige Auszeichnung “genehm“ sei (BayHStA MA Ordensakten 1102). Schon am Folgetag traf das Telegramm in Stuttgart ein (BayHStA, Bayerische Gesandtschaft Stuttgart 74).

Am 23.12. telegraphierte der bayerische Gesandte Freiherr von der Pfordten an das Münchener Außenministerium zurück: “titelverleihung an maler keller wird hiesiger regierung genehm sein“. Hierbei berief er sich auf vorläufige mündliche Auskünfte. An Heiligabend teilte das Münchener Außenministerium dem Innenministerium mit, daß die königlich-württembergische Regierung “mit der in Aussicht genommenen Titel-Verleihung an den Kunstmaler Keller bedingungslos einverstanden ist“.Am 29.12.1899 erging der endgültige Bescheid des württembergischen Außenministeriums an den bayerischen Gesandten in Stuttgart, daß gegen diese Titelverleihung „“von Seiten der Königliche Regierung keinerlei Bedenken bestehen“. Am selben Tag unterzeichnete der Prinzregent eigenhändig das Verleihungsdekret: “Ich finde Mich bewogen, aus Anlaß des bevorstehenden Neujahrstages folgende Orden zu verleihen“…(es folgen die Ordensverleihungen). Ferner: “Außerdem verleihe Ich gebührenfrei im Ressort des k. Staatsministeriums des Königlichen Hauses und des Aeußern (…) den Titel eines k. Professors: (…) dem Landschaftsmaler Paul Wilhelm Keller in Fürstenfeldbruck“. Ferner solle den Ausgezeichneten eröffnet werden, daß der Prinzregent jegliche Dankeserstattung für bereits empfangen ansehe. An Silverster (!) ordnete Innenmimister Landmann an, dem Maler folgendes Telegramm zu senden: “Gratuliere zur Allerhöchsten Verleihung des Titels Königlicher Professor“. Das Telegramm wurde noch am selben Tag expediert und müsste den Maler noch vor dem neuen Jahrhundert erreicht haben, das für ihn also gut anfing.

1900 entsteht “Abendsonne“,

1901 “Alter Markt Dachau“,“Nürnberg“,“Abendläuten“,“Landschaft mit Schafen und Bäumen“. Keller wird im Auktionskatalog von Lepke, Berlin, unter die “Modernen Meister“ eingereiht.

Von 1902-1920 lebte Keller wieder in München, zunächst in der Augustenstraße 77, seit Ende März 1913 in der Nymphenburgerstraße 19/0. Damals trug sein Briefkopf stolz den Titel “Kgl. Professor-Kunstmaler“. Er behielt sein Atelier in Fürstenfeldbruck. Er malt“Waldinneres“.

1903 “Gänseliesl“,“Bauernmädchen mit Krug“,“Abendläuten“,“Spielende Kinder vor Bauerngehöft“.

1904“Gänseliesl im Mohnfeld sitzend“.

1905 wird ein Werk Kellers in Heft 34 der “Jugend“ auf dem Titelblatt abgebildet. “Der letzte Sonnenstrahl“,“Spaziergang am Fluß“.

1907 “Verschneite Alblandschaft“,“Isarlandschaft“,“Waldinneres“,“Schäfer mit Herde“,“Gänseliesl am Weiher“,“6 Mädchen auf einer Bank“.

1908 “Verschneite Alblandschaft“.

1909 “Bauernhaus“. Im Testament vom 23. 6. wird seine Frau Albertine Universalerbin.

1910 erscheint eine Serie von sechs Postkarten Kellers mit Motiven aus der Zeitschrift “Jugend“.

1911 Erwähnung Kellers im “Katalog der Großen Berliner Kunstausstellung 1911. “Flößer“.

1914 In einem vom 14.1.1914 datierten Brief schreibt Keller aus München an den Fotografen Kester wegen einer Porträtaufnahme “in meinem Atelier in Fürstenfeldbruck oder in meiner hiesigen Wohnung“.“Dorf auf der Alb“,“Flößer“.

1919 “Tulpen“.

1920 veröffentlicht der Verlag der “Jugend“ etwa 3000 Reproduktionen von Kunstwerken, die von 1896-1919 in dieser Zeitschrift erschienen sind, darunter über 30 Werke Kellers.

In München ist er am 10.1.1920 an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben.

12.1.1920 wurde Keller auf dem Münchener Waldfriedhof an der Isar begraben.. Der Kunstverein München, in dessen Ausschuss und Schiedsgericht Keller als

Vorsitzender war, würdigte den Verstorbenen, “dessen Werke sich größte Anerkennung errangen“ (S. 38).

 

Keller hinterließ seiner Witwe ein Vermögen von etwa 40.000 Reichsmark und ein Atelierhäuschen direkt an der Amper in der Schöngesingerstraße 83 in Fürstenfeldbruck, wo heute ein öffentlicher Park ist.

Albertine meldete die Wohnung in der Münchener Nymphenburgerstraße am 5.8.1921 ab und führte seitdem ein recht unstetes Leben mit etwa drei verschiedenen Wohnsitzen im Jahr. Möglicherweise hat sie den künstlerischen Nachlaß ihres Mannes zu früh verkauft und dürfte durch die kriegsbedingte Inflation verarmt sein. So arbeitete sie zuletzt gar als Haushälterin. “Nachdem ihr Gott nicht geholfen hatte“, wie sie in einem Abschiedsbrief schrieb, nahm sie sich am 16.7.1926 das Leben, indem sie den Gashahn aufdrehte.Ihr Nachlaß hatte lediglich einen Wert von 100 Mark und bestand aus einem Kostüm, einem Paar Schuhe, drei Taschen, einem Kruzifix sowie einem Skizzenbuch und einigen Zeichnungen ihres Mannes. Die Verzweifelte schrieb: “ich gehe zu meinem Willi“. Sie unterzeichnete trotz allem stolz mit “Frau Profs Keller“.Sie scheint zumindest in Bezug auf ihren Sohn ein Doppelleben geführt zu haben. Denn ihre Universalerbin, ein gute Bekannte, von der sie beherbergt und gepflegt worden war, sagte vor dem Nachlassgericht aus, die Keller habe keine Kinder, während die Stiefschwester zu Protokoll gab, die Albertine hätte einen nach Amerika ausgewanderten vorehelichen Sohn, der sich nie mehr gemeldet habe. Ob sie ihren vorehelichen Sohn auch gegenüber ihrem Mann verschwiegen hatte?

 

 

Autor: Thomas Leon Heck

Co-Autor: Dr. Steffen Single

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Mensch P.W. Keller

 

Da bislang kaum persönliche Äußerungen Kellers bekannt sind, kann die Weltanschauung des Malers weitgehend nur aus seinen Werken abgelesen werden. Bei dieser Interpretation läuft man allerdings Gefahr, die Sicht Kellers mit der seiner Kunden zu verwechseln, für die er gemalt hat und denen seine Bilder gefallen sollten. Die untenstehende Bildbeschreibung und die Kenntnis des übrigen Werks berechtigen zu der These, daß bei Keller eine Dialektik zwischen Natur (Gewitter, Fluß, Bäume) und Kultur (Haus, Wäsche, Kochen, Spielen , Werkzeug, Nutzpflanzen) spürbar wird.

Innerhalb dieser Spannung findet der Mensch durch Arbeit seinen Platz in der kosmischen Ordnung, die hierarchisch erscheint: Die Amme steht über den Kindern wie der Betrachter über ihr und möglicherweise Gott über dem Betrachter. Die Ordnung zeigt sich auch in der Rollenverteilung, die klar ist: Spielen darf man bis zu einem gewissen Alter, danach beginnt die Pflicht, die Arbeit. Auch die Sauberkeit (der frischen Wäsche) ist ein Ordnungsfaktor.

Die Probleme sind draußen. Wenn sie kommen, wie ein Gewitter, ist man vorbereitet. Der “kindlich fromme Sinn“ des Malers, den ihm sein Bruder bescheinigt, hat in solchen Bildern einen bleibenden Ausdruck gefunden. Kellers Bruder Franz hat dem Paul Wilhelm, den die Familie Willi nannte, einen Nachruf geschrieben. Darin heißt es u.a.: “ Sein einfacher, naiver, kindlich frommer Sinn und die Kraft seines Gefühls sind es, welche die Volksliedluft seiner Bilder schaffen (…).“

Er war eine feinsinnige, vornehme Natur, bescheiden und anspruchslos, von “äußerster Weichheit, offenem, geradem Charakter. Beweglich, gewandt, gebildet, heiter (…). Er hat ein schönes Leben gehabt (…) und zum Schluß ein rascher, sanfter Tod, fürwahr ein Lebensbild, das man nicht schöner malen könnte.“

 

In einer Betzinger Tracht als Frau verkleidet präsentierte sich Keller auf einem Foto um 1890, das im Künstleralbum des Betzinger Gasthauses zur Rose erhalten ist. Ihm widmeten der Maler und zwei Kollegen „“hiermit den einzigen Witz ihres Lebens zum freundlichen Andenken“ (s. LUI, S. 61). Ganz so trocken war er aber sicher nicht, denn in einem seiner Gemälde von 1893 blickt der Betrachter auf die Münchener Frauenkirche, während die Hand eines Malers mit Pinsel auf dem Fenstersims liegt. Mit diesem Spitzwegschen Humor dürfte sich Keller selbst ins Bild gesetzt haben . Dennoch war er kein Linkshänder, da das Bild seitenverkehrt reproduziert wurde!

 

 

 

Franz Keller schrieb am 24.1.1939 schwärmerisch in einer Postkarte über das Aussehen seines längst verstorbenen Bruders während dessen Leutnantszeit: “ein schöner, blühend aussehender junger Mensch“. Der nicht sehr großgewachsene Maler, dessen Portraitaufnahme eine leicht dandyhafte Erscheinung vermuten läßt, was so gar nicht zu den Gänselieseln passen will, soll braune Haare und blaue Augen gehabt haben.

Keller trug beim Malen (oft im Freien, z.B. im Emmeringer Hölzl bei Bruck) einen Zwicker. Denkbar ist auch, daß er zum Malen Farbgläser benutzt hatte, um Farben und Lichtverhältnisse zu verfremden. Bekannt sind diese Gläser in Künstlerkreisen wohl schon seit Ende des 15. Jahrhunderts.

Er sei, so heißt es 1958, “die Freundlichkeit selbst“ (ro) gewesen. Er scheint auch Humor gehabt zu haben. Finckh schreibt: “da sein Vaterhaus dem meinen gegenüber lag, so legte er uns in der Neujahrsnacht immer auf die beiden hohen Steinsäulen am Garten Kanonenschläge“. Keller liebte auch den Münchener Fasching.

Sein Bruder Franz nannte ihn“verwöhnt von der Gunst des Schicksals und der Bewunderung der Menschen, frei von Sorgen um den Lebensunterhalt“ (S. 19). Werke von ihm wurden schon vor seinem Tod an öffentliche Sammlungen verkauft. Ob Keller bei allem Erfolg auch zu den“kaum fünf Collegen“ in München gehörte, über die der Maler Eduard von Grützner am 22.12.1907schrieb, dass nur sie“ihre Bilder gleich verkaufen“, kann man leider nicht sagen (s. 664. Katalog Stargardt, Berlin 1996, S. 8).

Aus mehreren Äußerungen Kellers geht hervor, daß er oft krank war, was zu der von seinem Bruder angedeuteten Sensibilität paßt.

Kellers Briefe lassen graphologische Interpretationen zu. Die Exaktheit der Schreibschrift paßt genau zu Kellers Malweise, die beide einen feinen, vielleicht etwas steifen Charakter vermuten lassen. Der Schwung und einige graphologische Eigenheiten (Oberlängen, Unterlängen, „t“-Schreibweise) lassen auf einen sehr selbstbewußten Charakter schließen.

So existiert z.B. noch eine handschriftliche Postkarte von Keller (in Privatbesitz) an einen Herrn Georg Stern, Alexandrinenstr. 95/96 in Berlin, geschrieben in Fürstenfeldbruck, 5. Januar 1911. Zu der Zeit wohnte er zwar dauerhaft in München, behielt jedoch sein Atelier in Fürstenfeldbruck bei. Er schreibt:

Sehr geehrter Herr!

Dankend bestätige ich Ihnen die Zusendung von M. 20. Ich werde Ihnen am Samstag (Übermorgen) eine Zeichnung senden und hoffe Ihren Beifall zu erwerben. Ihr ergebenster

Prof. Keller-Reutlingen

 

 

 

Tief blicken läßt eine eigenhändige, schriftliche und sehr persönliche Äußerung Kellers an einen unbekannten Adressaten, festgehalten auf einer kleinen Karte (Privatbesitz):

 

 

“Sei nie mit Dir zufrieden !“

P.W.Keller=Reutlingen

Bruck, Oktober 1902

(s. Kapitel “Autographen“).

 

Autor: Thomas Leon Heck

Co-Autor: Dr. Steffen Single